"Die Natur erleben ist eine innere Reise"
Josef Westerlund, ein erfahrener Bergführer, Outdoor-Pädagoge undÜberlebensinstruktor, ist seit jeher fasziniert von der menschlichen Psyche.Für ihn ist das Leben eine Suche nach Balance – in den Bergen und im Alltag.
Wer: Josef Westerlund, IFMGA/IVBV/UIAGM internationaler Bergführer, Outdoor-Pädagoge, Überlebensinstruktor und Halti-Team-Mitglied aus Jakobstad, Finnland.
Wie er sich bewegt: Auf Schnee, Bergen und Meer.
Wo man ihn findet: josefwesterlund.com
Josef Westerlund meldet sich von seiner Küche aus zu unserem Videoanruf in Jakobstad, einer Küstenstadt im Westen Finnlands. Die Region, bekannt für ihren Mangel an Höhenunterschieden, mag als ungewöhnlicher Wohnort für einen zertifizierten Bergführer und Lawinenlehrer erscheinen.
Es ist neun Uhr morgens, und Josef hat bereits einen hektischen Start in den Tag hinter sich, einschließlich einer CrossFit-Stunde um sechs Uhr. Der Sport ist ein guter Ausgleich zu seinen Outdoor-Aktivitäten und eine ausgezeichnete Möglichkeit, sich für die bevorstehende Wintersaison fit zu halten, erklärt er.
In seinen 25 Jahren als professioneller Guide hat Josef die Bedeutung von Balance gelernt: die Balance zwischen Risiko und Komfortzone, zwischen Gefahren und Spaß, zwischen dem Aufenthalt in den Bergen und der Zeit zu Hause mit der Familie.
"Wenn ich Arbeit und Freizeit gut ausbalanciere, kann ich beides wirklich genießen. Bald gehe ich für drei Wochen zum Skifahren nach Japan, was Spaß macht. Dann kann ich nach Hause kommen und ein paar Wochen frei nehmen, bevor ich wieder auf Reise gehe," erklärt Josef.
Die Vorbereitung auf Risiken beginnt im Kopf
Die Natur ist Josefs Spielplatz und Arbeitsplatz, aber er ist auch immer fasziniert von dem, was im menschlichen Geist vorgeht. Seine humanistische Seite zeigt sich auch in einer seiner vielen Tätigkeiten: Er ist Berater bei einer Organisation, die Opfer sexueller Gewalt unterstützt, und beteiligt sich an einem Programm, das gewalttätigen Straftätern Hilfe anbietet.
"Für mich ging es beim Outdoor-Erlebnis immer um die Menschen und ihre inneren Prozesse: die Kommunikation, die Gruppendynamik und die innere Reise, die die Menschen unternehmen," sinniert er.
Das Verständnis der menschlichen Psyche ist entscheidend bei riskanten Sportarten wie Skitouren und Bergsteigen. Obwohl sorgfältige Planung, Training und Vorbereitung entscheidend sind, bestehen Risiken immer. Als Guide bemüht sich Josef darum, eine Umgebung zu schaffen, in der seine Kunden ihre Wünsche und Unsicherheiten für die Tour äußern können.
Josef ist in seiner über 25-jährigen Karriere oft der Gefahr begegnet. In seinen Zwanzigern hatte er einen schweren Kletterunfall, der seine Sicht auf Risiken dauerhaft veränderte.
"Ich hatte das Risiko eingeschätzt und akzeptiert, dass ich fallen könnte. Aber was ich nicht bedacht hatte, war, dass ich möglicherweise nicht nur ein Bein breche, sondern gelähmt sein könnte. Wäre ich fünf Zentimeter weiter rechts gefallen, hätte ich den Rest meines Lebens im Rollstuhl verbringen können. Die Genesung dauerte fast ein Jahr und hat meine Sicht auf Risiko verändert."
Heute ist es für ihn das wichtigste Ziel, zu seiner Frau und seinen zwei Teenagern nach Hause zurückzukehren – einer davon ist gerade in die Küche gekommen, um eine Schüssel Müsli zu holen, scheinbar unbeeindruckt von Vaters Gedanken zur Lebensgefahr in den Bergen.
Wie geht ein erfahrener Guide mit Angst um, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen? Josef erklärt, dass die Vorbereitung auf Risiken lange vor der Tour beginnt.
"Es beginnt mit Reflexion zu Beginn der Saison: Wie viel habe ich trainiert? Wo stehe ich mental? Später muss man dasselbe jeden Tag tun und sich dieselben Fragen stellen: Wo stehe ich heute? Wie fühle ich mich? Kann ich die Route gehen oder sollten wir eine andere wählen?"
Josef erklärt, dass es entscheidend ist, zu verstehen, wie Geist und Körper in einer lebensbedrohlichen Situation auf Stress reagieren. Man muss sich auf Atmung und Bewegung konzentrieren und seine Gedanken auf das Wesentliche lenken – etwas, das erheblich schwieriger ist, wenn man von Anfang an sehr gestresst ist.
Er betont, dass es keine Schande ist, die Pläne zu ändern und bei Bedarf eine einfachere Route zu wählen. Manchmal führt der Verzicht auf den Druck, "epische" Dinge zu tun, zu einem angenehmeren Abenteuer.
"Die Entscheidung nimmt den Stress und kann zu einem wirklich guten Tag führen. Am Ende hat man vielleicht einen perfekten Tag im leichteren Pulverschnee, anstatt die ganze Zeit um sein Leben zu fürchten."
Eine kleine Ameise im großen Universum
Für viele sind Outdoor-Aktivitäten mehr als nur Hobbys. Ob Skifahren, Klettern oder Wandern – der Appetit wächst mit jeder Erfahrung. Ehe man sich versieht, werden Tagestouren zu Übernachtungen, und bald verbringt man Wochen in der Wildnis.
"Wenn man etwas tut, das einen ein wenig an die eigenen Grenzen bringt, dann fühlt man sich lebendig."
Josef ist fasziniert von dem Konzept, sich lebendig zu fühlen, auch wenn er noch nicht ganz herausgefunden hat, wie oder warum es passiert – oder ob es überhaupt passiert. Manchmal stellt sich das Gefühl beim Autofahren ein, manchmal beim Stehen auf einem Berg.
"Es ist ein kurzer Moment, nur ein paar Sekunden oder eine Minute. Man fühlt sich einfach so glücklich. Das ist das Gefühl, das wir suchen, das Gefühl, eine kleine Ameise im großen Universum zu sein," sagt er ein wenig wehmütig.
Josef stellt schnell klar, dass er, wenn er eine Gruppe führt, dieses Gefühl nicht selbst sucht, sondern Erlebnisse schafft, bei denen seine Kunden es finden könnten. Für ihn sind die Momente, in denen er sich am lebendigsten fühlt, während seiner eigenen Segel- und Skiabenteuer, wenn er zu abgelegenen Skitourenzielen aufbricht.
"Für mich ist es die Balance zwischen Meer und Bergen. Es gibt nichts Vergleichbares."
Josefs Tipps zur Vorbereitung auf das Outdoor-Erlebnis
• Verstehen Sie Ihren mentalen Zustand. Die Vorbereitung auf Risiken beginnt zu Hause. Fragen Sie sich: Wo stehe ich mental? Habe ich genug trainiert? Bin ich vorbereitet?
• Planen Sie im Voraus. Wenn Sie einen Plan haben, können Sie sich an die Umgebung anpassen und Ihre Pläne ändern. Ohne Plan fehlt Ihnen die nötige Flexibilität.
• Tragen Sie die richtige Kleidung. Kälte oder Nässe können Ihren Fokus beeinträchtigen, Ihren Blickwinkel verengen und Sie von Ihrer Aufgabe ablenken.